VORBERICHT am 06.03.2008: „Die Reiherkönigin“ im Gorki-Studio

von Oliver Kranz

Anmoderation:

So schnell wie Dorota Maslowska hat es in der polnischen Literaturszene noch kein Autor nach oben geschafft (und auch keine Autorin). Mit 18 schrieb sie ihren ersten Roman „Schneeweiß und Russenrot“, der von der Kritik mit Salingers „Fänger im Roggen“ oder Irvine Welshs „Trainspotting“ verglichen wurde. Für ihr zweites Buch, „Die Reiherkönigin“ erhielt sie den wichtigsten polnischen Literaturpreis. Dabei geht sie nicht unkritisch mit der polnischen Gesellschaft um. Wenn man den Titel „Reiherkönigin“ wörtlich nimmt, kann er auch „Königin aus Kotze“ bedeuten. Und das ist bei Weitem nicht das drastischste Bild, das die Autorin gebraucht. Nun bringt der junge polnische Regisseur Krzysztof Minkowski das Buch im Studio des Maxim-Gorki-Theaters auf die Bühne. Heute Abend ist Premiere. Oliver Kranz besuchte vorab die Proben.

Szene

Ciabatta-Verkäuferin: Dezember 2004. In Polen sind wir hier. In der Jagielonska in der Bäckerei …

Doch natürlich sind wir auch in Berlin. Die gelbgrün gekachelte Wand, die die Spielfläche nach hinten begrenzt, könnte aus einem hiesigen U-Bahnhof stammen. Und auch das Personal ist bekannt. Da ist zum einen Stanislaw Retro, ein Popsänger in Geldnot. Seine Freundin hat ihn verlassen, also macht er sich an seine weiblichen Fans heran:

Szene

Das Mädchen war für seinen Geschmack, ein bisschen wie Taubenkack …

Das Gesicht wie Fleisch so rot, darin zwei Äuglein wie Schrot. Das Haar ein Bündel unbändiger Draht – unheilvolle Stille lauerte zwischen ihnen…

In der Inszenierung kommt es – wie im Roman – sehr auf die Sprache an. Krzysztof Minkowski hat nicht nur Dialoge, sondern auch Erzählpassagen des Buches wortgetreu übernommen und gestattet es seinen Akteuren nur selten, die Situation spielerisch auszumalen. Die Texte sind auch so bildstark genug. „Rap“ steht als Genrebezeichnung über der Inszenierung. Doch das heißt nicht, dass die Schauspieler im HipHop-Takt singen. Regisseur Krzysztof Minkowski betont:

Minkowski

Das Stück hat einen eigenen Rhythmus. Rap weckt falsche Erwartungen, womit Maslowska ständig in diesem Roman spielt. Mit Figuren werden falsche Erwartungen aufgemacht, um gewisse Genres zu entlarven.Die Autorin zitiert Schlagertexte, Artikel aus Frauenzeitschriften und Straßenslang und vermixt alles zu einer eigenwilligen Kunstsprache.

Szene

Polizist: O Penis, Titten, Vagina. Heute haben wir echt Pech. In der Bieschka gibt’s ein Gemetzel. … Nicht was du denkst, Adam. Aber mir tut’s ehrlich ein bisschen leid, um meine Uniform. Ist gerade frisch gewaschen.

… so redet der Polizist, der mit seinem Kollegen lieber einer vollbusigen Bäckersfrau hinterher steigt, als für Recht und Ordnung zu sorgen. Solche Szenen haben in Polen nicht nur Zustimmung gefunden. Die Autorin nimmt es gelassen.

Maslowska

Übersetzung des polnischen O-Tons:

Es geht mir nicht darum zu provozieren. Ich schreibe nur auf, was ich in Warschau erlebe. Ich wohne in Praga, einem Bezirk, in dem reiche Menschen wohnen, aber auch sehr viele Arme. Wenn man sieht, wie die miteinander umgehen, dann weiß man, was in der Gesellschaft passiert.

Die Gesellschaft so Dorota Maslowska kennt weder Solidarität noch Achtung vor der menschlichen Würde. Die Starken erniedrigen die Schwachen, wie Popstar Stan Retro, der seine Verehrerin nach einem missglückten sexuellen Annäherungsversuch einfach aus der Wohnung schmeißt.

Szene

Stan Retro: Guck nicht so! Dahinten ist ein Zoo. Da kannst du hingehen, mit den Wölfen heulen, mit den Tölen nölen. Ich bin Stanislaw, verdammt noch mal.

Christian Ehrich spielt den Popstar mit einer Mischung aus Arroganz und Selbstmitleid. Der gereimte Text bereitet ihm keine Schwierigkeiten.

Christian Ehrich

Zum Lernen weiß ich gar nicht, ob ich den schnell auswendig lernen konnte, auf jeden Fall war es sehr spaßig. Es macht einfach Spaß, den zu lesen und du kommst in Gedankenwelten und in Bilder, wo du denkst: O Scheiße. Es ist wie ein Monty-Python-Film. Ein guter.Die Inszenierung hat – wie der Roman einen doppelten Boden. Auf den ersten Blick erscheint sie vulgär, zynisch und auch oberflächlich – doch dann wird klar, dass sie eine vulgäre, zynische und oberflächliche Gesellschaft abbildet.

Krzysztof Minkowski legt besonderes Augenmerk auf die Szenen, in denen Dorota Maslowska die Warschauer Medienschickeria durch den Kakao zieht. Da werden in Fernsehshows Studiogäste erniedrigt und Schlager im stupiden Einheitssound gesungen.

Szene

Dieses Lied entstand aus Mitteln der EU. Lesen kannst auch du es mit Hilfe der Lettern des Alphabets. Die Seiten musst du umblättern.

Minkowski

diese ganze EU-Förderung, was jetzt abgeht in Polen. … Wir sind alle jetzt europäisch, wir sind schön. Wir werden wie Deutschland sein und Frankreich. Aber das stimmt nicht. Wir Polen lernen das langsam. Es ist auch schön, dass wir nicht so wie Deutschland werden.

Krzysztof Minkowski. Der junge Regisseur ist zurzeit noch Student am Regieinstitut der Schauspielschule „Ernst Busch“ und legt „Die Reiherkönigin“ seine Diplominszenierung vor. Man muss kein Hellseher sein, um zu prophezeien, dass man von ihm auch später noch hören wird.

RBB

Kulturradio

Sendung am: 6.3.2008, 16.45

Redaktion: Aishe Malekshahi

Autor: Oliver Kranz