Mitteldeutsche Zeitung vom 6. November 2007: Doppelpack mit Gefühl

Susanne Hessel und Jens Tramsen schreien, schlagen und träumen als „Disco Pigs“ in der Neuen Bühne

Von Uwe Kraus

Quedlinburg/MZ. Eine Szene geht in die andere über, dem Zuschauer bleibt kaum Zeit zum Luftholen und Einordnen. Krzysztof Minkowski inszeniert das Schauspiel „Disco Pigs“ des Iren Enda Walsh in einer jugendgemäßen MTV-Ästhetik. Der kurz vor dem Abschluss der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ stehende Minkowski bringt den viel gespielten Theatererfolg der vergangenen Jahre in der schlichten Ausstattung von Konrad Schaller a. G. auf die kleinen Bühnen des Vorharzes. Schaller setzt dabei auf eine IKEA-Optik, die Stück um Stück zerstört wird. Jens Tramsen (Pig) und Susanne Hessel (Runt) nehmen den Raum in Besitz, in dem sie die sterile Einheitswelt mit ihrem Kram nach ihrem Bild verändern. Die Papierschirm-Lampe wird abgenommen, die Wand mit Farbe bemalt.

Pig und Runt, die in der gleichen Minute das Licht der langweiligen Welt erblickten, gleiten seither symbiotisch und achterbahngleich durchs Leben. Krzysztof Minkowski lässt das Stück irgendwann irgendwo spielen; ob in Irland oder mit Hartz-IV – soziale Kälte, Tristesse und Hoffnungslosigkeit allüberall. Die beiden Unzertrennlichen werden 17 Jahre alt und haben sich ihren eigenen Mikrokosmos geschaffen. Durch den schweben sie auf einer Wolke von Zuneigung, Schnaps und Brutalität und kommunizieren in ihrer eigenen Sprache miteinander. Kein Zugang bringt den Rest der Welt zu ihnen. Doch irgendwann platzt dieser Kokon und Runt sitzt allein auf der Couch. Tränen verschleiert sagt sie „Is okay.“ Sie rückt das Sofa gerade, das mitten im Gefühls- und Wohnungschaos steht. Und hofft, dass irgendein Lebensregisseur ruft: „Cut, und alles wieder auf Anfang.“

Die da auseinanderdriften, Pig und Runt, gehen vorher noch einmal auf einen meditativen Trip durch die verkorksten 17 ersten Jahre. Alles teilten sie bisher; die Enge der Stadt, Visionen, Sex und den Kampf um das bisschen Glück. Sie sind bedingungs- und grenzenlos, wenn sie saufen, tanzen, schlagen und lieben.

Der hoch gewachsene Jens Tramsen und die auf den ersten Blick dagegen klein und verletzlich wirkende Susanne Hessel entfachen als polterndes Energiebündel im Doppelpack ein wildes Feuerwerk von Gewalt und Emotionen, kehren das Innerste nach Außen. Sie spielen ständig am Limit und brüllen ihre Ohnmacht heraus, schlagen mit aller Brutalität zu und finden den direkten Pfad zum Herzen, alles auf Volllast und -lautstärke. Da gibt es keine Zwischentöne, laut und Energie geladen schreien sie ihre Liebe und ihren Hass hinaus.

Bemerkenswerte Schauspielerleistungen erlebt das Publikum in diesem 60-Minuten-Schauspiel. Hessel wirkt dort besonders stark, wo sie ihren Körper bis in die aufgerissenen Augen sprechen lässt, wenn sie regungslos am Bühnenrand sitzt und den sexuell aufheizenden Worten Pigs lauscht. Und Tramsen, der Brutalo, der den Typen zusammentritt, der seine Runt in der Disco anbaggert, offenbart an anderer Stelle Sinnlichkeit und Gefühl, wenn er seine Märchenprinzessin mit Kosenamen überschüttet. Doch das Leben schlägt das Märchenbuch zu und piekt das gemeinsame Luftschloss an.