Gesänge der Stadt und Nächte im Park

VON ILKA HILLGER | 10.10.2009, Mitteldeutsche Zeitung

DESSAU/MZ – Der Titel ist eine Ansage und der Spielplan hält sie ein: „radikal deutsch“ ist die aktuelle Spielzeit des Anhaltischen Theaters in der Schauspielsparte überschrieben. Deutsche Autoren und deutsche Themen aus Vergangenheit und Gegenwart bestimmen die Saison 2009/2010. Wie weit dabei der Rahmen reicht, machte bereits das Premierenwochenende deutlich, mit dem das Dessauer Theater die Spielzeit unter neuer Leitung eröffnete.

Eine Odyssee mit dem Bus

Beim Open Air Anfang dieses Monats gab es eine erste Kostprobe jenes Stückes, mit dem die Schauspielsparte beginnt. Vier Schauspieler standen singend auf dem roten Funk-Container und ließen Bitterböses von Georg Kreisler hören. Mehr davon gab es am Freitag vergangener Woche im Dessauer Stadtgebiet an bekannten und ungewöhnlichen Orten bei der Premiere von „Gesänge aus Tausend und Einer deutschen Nacht“. Regisseur Krzystof Minkowski schickte die Schauspieler an diesem Tag von 12 bis 19 Uhr als singende, musizierende und spielende „Combo“ auf eine Odyssee durch die Geschichte Deutschlands und hinein in klingende Geschichten aus Dessau. Vor zwei Tagen kam der Bus dann an und die „Gesänge“ finden fortan als Vorstellung im Alten Theater statt.

Dorthin führte auch die zweite Premiere. Mit der „Abschlussfeier“ von Einar Schleef erlebte das Anhaltische Theater in der Regie von Armin Petras eine Uraufführung. Schleef hatte in „Die Abschlussfeier“ seiner Verzweiflung an gesellschaftlichen Zuständen der DDR Ausdruck verliehen. Die Handlung führte nach Kühlungsborn wo in der Jugendherberge „Käthe Niederkirchner“ die Abschlussfeier des Kurses für deutsche Sprache der „Gesellschaft für Deutsch-Französische Freundschaft“ geplant ist. Mit Armin Petras, Intendant des Berliner Maxim-Gorki-Theaters, das als Koproduzent fungierte, konnte für die Inszenierung ein Regisseur gewonnen werden, der wie kein anderer ein Gespür dafür hat, deutsche Themen der jüngeren Vergangenheit auf die Bühne zu bringen.

Mit Lessings „Nathan der Weise“ am vergangenen Sonntag im Großen Haus endete der Premieren-Eröffnungsreigen. Dem Klassiker der Aufklärung hatte sich Generalintendant André Bücker angenommen und stellte sich damit erstmals mit einer eigenen großen Inszenierung dem Publikum vor.

Brussigs Kult-Buch als Theater

Zurück ins Alte Theater geht es mit der Schauspielsparte am 16. Oktober, wenn Axel Sichrovsky die verrückt-absurde Geschichte „Helden wie wir“ nach dem Roman von Thomas Brussig in einem Monolog von Schauspieler Sebastian Müller-Stahl erzählen lässt. Der gibt mit Klaus Uhltzscht jenen Mann, der die Mauer im Jahre 1989 zum Einsturz brachte. Und dies allein durch die Pracht und Kraft seiner monströsen Männlichkeit. Fünf Tage später, wieder im Alten Theater, inszeniert von Axel Sichrovsky, hat am 21. Oktober „Der Kick“, ein Zwei-Personen-Stück Premiere. „Der Kick“ geht auf einen Fall 2002 in Brandenburg zurück, als drei Jugendliche einen Kumpel erschlagen. 18 real existierende Personen kommen im Stück zu Wort und montieren die Texte aus Protokollen, Interviews und Trauerreden zu einem der beklemmendsten Entwürfe der Gegenwartsdramatik.

Zum Märchen der Saison wird am 13. November eingeladen: „Sechse kommen durch die Welt“ setzte Robert Klatt in Szene. „Kasper Häuser Meer“ heißt eine wirkliche Komödie von Felicia Zeller, die David Ortmann am 11. Dezember im Alten Theater zur Premiere bringt. In das neue Jahr startet die Schauspielsparte am 29. Januar mit einem Trauerspiel. Christian Weise nimmt sich Heinrich von Kleists „Die Familie Schroffenstein“ an. Mit Carl Zuckmayer und dessen „Teufels General“ gehen die Schauspielpremieren am 26. März weiter. Wolf Bunge inszeniert das Stück, in dem sich die Kernfrage nach der Verstrickung in Schuld, der Macht und Ohnmacht gegenüber einem politischen System noch immer als aktuelle Frage stellt.

Niklas Ritter betreut im Frühjahr ein Projekt, das Schauspieler und Dessauer Bürger über 60 vereint. „Wanderlust und Reisefreiheit“ geht mit seiner Premiere am 7. Mai im Alten Theater dem Phänomen „Wanderlust“ auf den Grund. Am Ende soll ein Theaterabend stehen, der die in Interviews und Begegnungen gemachten Erfahrungen mit Texten der literarischen Tradition verknüpft, ein Abend über das Wandern durch Zeiten, Landschaften und Biografien. Mit „Sommer-Nacht-Traum“, einer nächtlichen Reise durch den Stadtpark, findet am 8. Juli die letzte Premiere dieser Spielzeit im Schauspiel statt. Chefregisseurin Andrea Moses verschneidet Botho Strauss´ „Der Park“ und Andreas Gryphius „Herr Peter Squenz“. „Der uralte Zauber der Kunst soll mit betörender Klarheit die Ödnis aus diesem Menschenpark vertreiben.“ Das ist das Ziel, doch der Sommernachtsrausch entzündet nicht die Herzen wie gedacht…

Informationen zu Stücken und Karten unter www.anhaltisches-theater.de

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